Titel: „Die Telefonzelle am Ende der Welt“
Autorin: Laura Imai Messina
Übersetzerin: Judith Schwaab
Verlag: btb Verlag
Jahr: 2021
Seitenzahl: 352 Seiten
Triggerwarnung: Tod, Tōhoku-Erdbeben 2011, Traumata, PTSD
Bewertung: 4 / 5
Zum Buch
Hallo ihr da draußen! Ich habe wieder mit meinem Nebenjob angefangen, wodurch ich vor allem an den Wochenenden weniger Zeit zum Lesen habe. Deshalb hat es ein bisschen gedauert, bis ich euch eine neue Rezension vorlegen konnte. Hier ist sie nun und es war ein angenehmes, sanftes, aber auch emotionales Leseerlebnis. An dieser Stelle vielen Dank an das Bloggerportal für das Rezensionsexemplar!
Inhaltsangabe:
Eine Tagesfahrt von Tokio entfernt steht in einem Garten am Meer einsam eine Telefonzelle. Nimmt man den Hörer ab, kann man dem Wind lauschen – und den Stimmen der Vergangenheit. Viele Menschen reisen zu dem Telefon des Windes, um mit ihren verstorbenen Angehörigen zu sprechen und um ihnen die Dinge zu sagen, die zu Lebzeiten unausgesprochen blieben. So kommt eines Tages auch Radiomoderatorin Yui an den magischen Ort. Im Tsunami von 2011 verlor sie ihre Mutter und ihre kleine Tochter. Yui lernt in dem Garten den Arzt Takeshi kennen, auch er muss ein Trauma verarbeiten. Die beiden nähern sich an, gemeinsam schöpfen sie neuen Mut. Und erlauben sich zum ersten Mal, dem Leben einfach seinen Lauf zu lassen. Ganz gleich, was es für sie vorgesehen hat.
Laura Imai Messina: „Die Telefonzelle am Ende der Welt“
Zuerst einmal zum Cover: Es ist wunderschön, meiner Meinung nach! Minimalistisch, zart, sanft und es zeigt die wahre Telefonzelle, auf der die Handlung beruht. Denn dieser Ort der Zuflucht existiert wirklich. Ich habe mich für das Rezensionsexemplar beworben, nachdem ich kleinere Dokus und Berichte darüber gesehen habe. Aber eben weil ich wusste, dass es sich um wahre Begebenheiten handelt, hatte ich anfangs gezögert, denn solche Themen gehen mir sehr nah und bei manchen Büchern dieser Art hat es mich dann geärgert, wenn damit zu lasch oder oberflächlich umgegangen wird. Aber meine Bedenken waren unbegründet, Laura Imai Messina hat mit diesem Roman einen wunderschönen Tribut für die Telefonzelle und ihre Schöpfer geschaffen.
Im Mittelpunkt steht Yui Hasegawa, welche während des verheerenden Tōhoku-Erdbebens und des folgenden Tsunamias ihre Mutter und ihre kleine Tochter verloren hat. Nachdem sie über einen anderen Hinterbliebenen von dem „Telefon des Windes“ erfährt, macht sie sich auf zum Garten von Suzuki-san, in dem die Telefonzelle steht. Dort trifft sie nicht nur auf Takeshi, welcher seine Frau verloren hat, sondern auch auf andere Menschen jeglichen Alters, welche auf die ein oder andere Weise ihre Liebsten verloren haben. Viele so wie Yui durch die Katastrophe 2011. Hierzulande verbinden die meisten diese Jahreszahl mit dem Super-GAU im Atomkraftwerk von Fukushima, aber Messina wollte mit diesem Buch bewusst das Augenmerk auf die Opfer des Tsunamis legen. Daher handeln viele Kapitel von Yuis Erfahrungen direkt nach dem Tsunami und in der Notunterkunft.
Dort, an jenem Ort der Verbannung, erkannte Yui, dass sie auch noch etwas anderes, Wichtiges gelernt hatte: nämlich, dass es genügte, einen Menschen totzuschweigen, um ihn für immer auszulöschen. Genau deshalb war es wichtig, Geschichten in Erinnerung zu behalten, mit Menschen zu reden, über Menschen zu reden. Menschen zuzuhören, wenn sie über andere Menschen sprachen. Und, wenn nötig, auch mit den Toten ins Gespräch zu kommen.
Laura Imai Messina: „Die Telefonzelle am Ende der Welt“, S. 60
Die einzelnen Schicksale berühren sehr. Im Mittelpunkt stehen hauptsächlich Yui und Takeshi sowie ihre gegenseitige Annäherung, aber auch die anderen Charaktere hat die Autorin mit Nachdruck in die Handlung eingewebt. Der Aspekt des Sprechens ist dabei unbestreitbar vor allem eins: Heilung und Loslassen. Verarbeiten des Traumas und des Verlusts. Die meisten Besucher*innen des Gartens wollen mit toten Angehörigen sprechen, aber es gibt auch einen jungen Mann, der durch das Telefon des Windes mit seinem Vater spricht, der noch am Leben ist, jedoch seine Frau an den Tsunami verloren hat und seitdem nicht mehr derselbe ist. Die Entwicklung und Heilung der Nebencharaktere hat mir fast noch besser gefallen als die der Protagonisten. Die Wege zur Heilung sind so vielfältig wie die Menschen selbst.
Als nichts mehr in ihr war, kauerte sich Yui auf den Boden und schlang die Arme um sich selbst. Sie verspürte das Bedürfnis, sich selbst zu umarmen.
Sie weinte nicht, wandte aber auch nicht den Blick vom Meer, denn sie war überzeugt davon, dass diese Übelkeit nun vorbei wäre, ein für alle Mal, obwohl sie sich schon damit abgefunden hatte, sie nicht mehr loszuwerden.
Da hatte sie sich getäuscht. Denn es sind nicht nur die besten Dinge, die irgendwann ein Ende haben, sondern auch die schlimmsten.
Laura Imai Messina: „Die Telefonzelle am Ende der Welt“, S. 153
Besonders hervorzuheben ist die Gestaltung des Buches: Die Handlung ist in zwei Teile aufgeteilt und alle Kapitel sind sehr kurz. Dadurch hat sich das Gefühl eingestellt, nur so durch die Seiten zu fliegen. Denn neben der eigentlichen Handlung gibt es alle zwei Kapitel Ergänzungen in Form von genauen Beschreibungen, Auflistungen, Erinnerungen, Playlists, Wörterbucheinträgen oder Zitaten, z. B. aus der Bibel, oder auch Erklärungen japanischer Traditionen. Diese Gestaltung ist sehr kurzweilig und war für mich als Japan-Fan sehr bereichernd. Auch führt sie der Leserschaft das eigentliche Ausmaß des Tōhoku-Erdbebens vor Augen. Für die zahlreichen japanischen Begriffe enthält das Buch am Ende ein Glossar und auch das hat mich sehr gefreut. Besonders bei übersetzten Büchern oder denen, die aus anderen Kulturen stammen, ist es manchmal besser, das jeweilige Wort zu erklären. Denn häufig geht eben vieles in der Übersetzung verloren oder es lässt sich schlichtweg nicht übersetzen.
Judith Schwaab bringt den wunderschönen, einfühlsamen und bildgewaltigen Stil Messinas sehr gut rüber. Ich bin nur an ein, zwei Stellen etwas gestolpert. Leider hat sich am Ende die Beziehung zwischen Yui und Takeshi ausgesprochen schnell entwickelt und ich hatte auch nicht wirklich das Gefühl, einige ihrer Entscheidungen nachvollziehen zu können. Fast war es, als ob da regelrecht Löcher in der Handlung waren, die mein Kopf dann versucht hat zu füllen. Nichtsdestotrotz ist „Die Telefonzelle am Ende der Welt“ ein sehr berührendes Buch, welches mir mehrmals die Tränen in die Augen getrieben hat. Und es ist eine Möglichkeit, westliche Leser*innen mehr über das Tōhoku-Erdbeben erfahren zu lassen, dessen Nachbeben im weiteren Sinne bis in die Gegenwart reichen. Daher vergebe ich 4 von 5 Sternen an den Roman. Gut finde ich auch, dass die Autorin am Ende des Buches bemerkt, dass das echte Telefon des Windes bitte nicht im Rahmen von Tourismus besucht werden sollte. Es solle denen vorbehalten sein, die wirklich damit mit jemanden sprechen möchten, den sie verloren haben.
[Rezensionsexemplar]
Eine sehr schöne Rezension, vielen Dank! Mal sehen, ob ich es lesen werde, aber ohne deine Rezi hätte ich noch nicht mal drüber nachgedacht. 🙂
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Freut mich, dass ich dich damit inspirieren konnte! Dann viel Spaß beim eventuellen zukünftigen Lesen! 🙂
Liebe Grüße
Alina
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Falls ja, werde ich berichten. Kann aber dauern. 🙂
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